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Remote Leadership – Führung in Zeiten von Homeoffice und dezentralem Arbeiten

Und plötzlich arbeitet jeder von Zuhause! Einige etablierte Führungsmethoden lassen sich gut in die neue dezentrale Welt überführen. Andere benötigen etwas Anpassung, während manchmal wiederum ganz neue Ansätze notwendig werden.
Welche sind das, worauf muss ich achten?

Hier finden Sie einige Beispiele, samt Erfolgstipps – quasi als Full-Service-Abkürzung für Sie!

TL;DR

Direkt zur Zusammenfassung springen!

Früher war alles besser.

Unternehmen gliederten sich in Hierarchien, Anweisungen wurden von oben nach unten durchgereicht und …weil ich es sage… war oft Begründung genug.

Verbesserungsvorschläge sammelte man per KVP-Briefkasten, von wo sie -wenn überhaupt-  langsam von unten nach oben diffundierten.

Unsere Unternehmen bestanden aus Divisionen und Abteilungen, nicht zufällig aus dem Militär übernommene Begriffe. Jeder wusste, wo sein oder ihr Platz war und welcher Karrierepfad möglich war: Nach oben.

Das Büro diente dabei nicht nur als der Ort, an dem sich die Arbeitsmittel befinden, sondern auch als wertvoller Feedbackkanal.

Alle paar Tage gab es ein Statusmeeting, wo im Uhrzeigersinn abgefragt wurde “Wie schaut es da aus?”. Wenn ich dann an der Reihe war musste ich Dinge sagen wie “Da bin ich dran!”, “Das hat maximale Priorität!” oder “Das hab ich am Schirm!”.

Dieses hier gezeichnete Bild ist natürlich ganz bewusst überzeichnet.

Diese Art der Organisation passte noch nie so richtig für kreative Bereiche oder Dienstleistungsbetriebe, wo schnelle und flexible Reaktion auf sich ständig ändernde Anforderungen wichtig ist.

Vor 2020.

Selbstverständlich haben viele TeamleiterInnen schon lange verstanden, dass “weil ich es sage” als Begründung nicht ausreicht.

Aber:

In unseren verschiedenen Rollen, vom Projekt- und Anforderungsmanagement über die Beratung bis hin zur Teamleitung haben wir uns die Tatsache, dass alle Teammitglieder von Montag bis Freitag an mehr oder weniger demselben Ort sind oft und gern zunutze gemacht.

Um den echten Status einer Aufgabe zu klären, konnte man sich Turnschuhe anziehen und direkt am Platz fragen “Erzähl, wie geht es Dir mit dem Projekt?”

Saß man in einem Großraumbüro dicht an den Teams, konnte man allein aus dem Geräuschpegel und dem Grad des Gemurmels das Stresslevel ablesen und aktiv gegensteuern.

In regelmäßigen Abstimmungsrunden wird Feedback eingeholt und die Einbindung der Aufgaben in den unternehmerischen Kontext erklärt. Face-to-Face-Kontakte helfen dabei, nicht nur Statusmeldungen abzufragen, sondern auch ein Gespür für das “…wie geht es Dir?” zu erhalten.

Nur so kann man individuell Stärken nutzen, über Schwächen sprechen und Hilfestellungen anbieten.

Das lief super, bis im Frühjahr 2020 auch die skeptischsten Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice ziehen lassen mussten.

Silence.


Plötzlich brachen uns die bekannten und erprobten Feedback-Mechanismen weg, aus dem direkten Draht im Großraumbüro wurden kleine briefmarkengroße Fenster in der Videokonferenz-Software unserer Wahl.

Gleichzeitig ist und bleibt die Aufgabe, “…den Laden am Laufen zu halten..”.

Einig sind wir uns darin, dass das “wie es früher war” nicht zurückkommen wird.

In unserer täglichen Arbeit ist mir und meinen KollegInnen aufgefallen, dass sich einige etablierte Methoden gut in die neue dezentrale Welt überführen lassen. Andere benötigen etwas Anpassung, während anderswo ganz neue Ansätze notwendig werden.

Hier finden Sie einige Beispiele, samt Erfolgstipps – quasi als Full-Service-Abkürzung für Sie!

Nach 2021.

Anwesenheit, Zeiterfassung und was das mit Vertrauen zu tun hat

Wenn wir in unsere Arbeitsverträge schauen, dann stehen da 38,5 oder 40 Stunden, manchmal auch “All-In”. Alles andere ist offenbar nicht der Normalfall, denn wir sprechen hier von “halben” Stellen in der Ressourcenplanung rechnet man mit “Vollzeitäquivalenten”.

Aber warum ist das so? Warum wird der Arbeitslohn hier als Gegenleistung für eine bestimmte Anwesenheitsdauer angesehen, an einem bestimmten Erfüllungsort, von Montag bis Freitag?

Warum messen wir statt der Anwesenheit nicht die Arbeitsmenge, also den Gegenwert der geleisteten Arbeit? Ärzte, Anwälte, Architekten machen das schon lange so, auch Werbeagenturen verrechnen Aufwände, nicht Anwesenheit.

Verwechseln wir hier nicht “Zeit verbringen” mit “Ergebnisse erzielen”? [1]

Annahme: Weil die Anwesenheit so schön einfach zu messen ist. Bei der Festlegung von Kernarbeitszeiten und Erfüllungsorten geht es außerdem um eine Koordination, um die Vorhersagbarkeit von Anwesenheit. Dahinter steckt die Annahme, dass es für die Bearbeitung vieler Aufgaben hilfreich ist, wenn sich alle Beteiligten zu einer halbwegs planbaren Zeit an einem vorhersehbaren Ort aufhalten. Klingt gut und sinnvoll.

Schon vor 2020 war dieses System aber wackelig, etwa bei der Arbeit über Zeitzonen hinweg.

Die Arbeit über Standortgrenzen hinweg machte die ganze Sache dann so kompliziert, dass in Universitäten “interkulturelles Management” gelehrt wird (Stichwort Hofstede).

Am Feierabend und am Wochenende kann ich mich “ent-spannen”. Wenn wir das einmal wörtlich nehmen – Warum arbeiten wir so, dass man sich erst ver-spannt? Was wäre ein “nachhaltiges Tempo”?

Dann kam 2020, plötzlich hieß es dort wo es möglich war Kurzarbeit! Blieb nun alles liegen? Nein.

In vielen Bereichen können MitarbeiterInnen sowieso nur 1-2 Stunden stark konzentriert arbeiten, quasi in “Schüben”, danach braucht man eine Pause. Im Büro war das etwa der Gang in die Teeküche oder eine Raucherpause (die übrigens nie in Zeiterfassungen aufschienen).   Die Summe dieser “Schübe” ist aber stets deutlich kleiner als 40h/Woche, der geleistete Gegenwert jedoch deutlich höher.

Und wie geht das dezentral? Tipp!

  • Messen Sie die Menge an Output – nicht die Anwesenheit. Das geht nur über Vertrauen.
  • Stellen Sie sicher, dass Rückfragen zu Aufgaben Sie gut und strukturiert erreichen.

Einwandsbehandlung! Homeoffice ist…

…fehlende Mitarbeiter-Kontrolle

Eine große Sorge, die ich als Berater oft von meinen Kunden höre, ist der plötzlich fehlende Feedback-Kanal. Da gibt es zum Beispiel die Sorge, dass MitarbeiterInnen “abtauchen” können, und in der Folge Aufwände unfair verteilt werden.

Eine erste Gegenreaktion war da oft, dass noch mehr Excel-Listen eingeführt wurden (…was tust Du eigentlich im Homeoffice…?), bis hin zu 2- oder 3-facher Zeiterfassung in manchen Bereichen.

Die Antwort auf den Wunsch nach Feedback kann hier ironischerweise nicht lauten “Mehr Kontrolle!” – der Berater in mir sagt hier “das skaliert nicht”.

Und wie geht das dezentral? Tipp!

  • Ersetzen Sie Statusmeetings durch ein kreatives Setting, bei dem Rückfragen gestellt oder (noch wichtiger) Unklarheiten in der Aufgabenstellung durch geschickte Moderation herausgearbeitet werden können. Das hat auch den Vorteil, dass dabei neue Lösungen erdacht werden, auf die sie in einem Top-Down-Ansatz nie gekommen wären.
    Der Status ist übrigens sowieso für alle jederzeit auf einem Dashboard zu lesen (ooooooder!?!?!) [2].
    Übrigens! Der einzige Status, der für Ihre internen und externen Kunden relevant ist heißt “ich kann es nutzen!”.
  • Sie haben Profis angestellt – lassen Sie sie einen Weg finden und ihre individuellen Kenntnisse und Talente einbringen. Arbeiten Sie dabei auf verschiedenen Ebenen
    • Gemeinsames Klären der Aufgabenstellung/Anforderung
    • Gemeinsame Lösungsfindung
    • Gemeinsame Themenfindung

Sie sehen also, andere Arbeitsorte bedeuten keinen Kontrollverlust – sie erfordern nur andere Feedback-Mechanismen. Diese Umstellung bietet Ihnen auch die Chance, die Individualität und Kreativität Ihrer Teammitglieder künftig noch stärker nutzen zu können.

…Unfair, da es nicht alle Teammitglieder gleichermaßen nutzen können

Bei diesem Einwand geht es darum, dass die Nutzung von Homeoffice nicht allen Berufen zur Verfügung steht. Bei Berufen, in denen “remote working” möglich ist, sind wiederum nicht alle Tätigkeiten gleichermaßen geeignet.

Auf diese Weise wird die Aussage “ich arbeite von zu Hause!” oder (ganz modern) “ich bin ein digitaler Nomade!” fast schon zu einem Statussymbol. Impliziert wird nämlich nicht nur eine bestimmte Karrierestufe und Tätigkeit, sondern auch der zur Verfügung stehende Platz, die technische Ausstattung und die persönlichen Lebensumstände. Um es ganz klar zu sagen: Nicht alle können oder wollen den Arbeitsmittelpunkt in die eigenen vier Wände verlegen.

Um hier den Anfängen zu wehren und eine maximale Fairness zu gewährleisten wird dann Homeoffice entweder ganz untersagt oder zähneknirschend auf (z.B.) “1 Tag pro Woche” festgelegt.

Und wie geht das dezentral? Tipp!
  • Behandeln Sie die Frage nach dem geeigneten Arbeitsort nicht schwarz-weiß als Homeoffice ja/nein, X-viele Tage pro Woche, sondern entscheiden Sie situativ! Für welche Rollen, welche Tätigkeiten ist welcher Arbeitsort optimal geeignet?
  • Betrachten Sie das Büro als “Dritten Ort”, als Ort zum Aufbau von Netzwerken und zur Abstimmung darüber, was getan werden soll
  • Lassen Sie Ihre Teams dann selbst entscheiden, ob Remote Working und Homeoffice für konzentriertes Arbeiten genutzt werden soll. Denken Sie daran, dass “Homeoffice” nicht immer das eigene Zuhause sein muss. Beispielsweise bieten immer mehr Hotels ihre leerstehenden Zimmer als Arbeitsumgebungen an.

Sie sehen, beim Homeoffice geht es nicht um ein pauschales Ja/Nein, mit einer fixen Zahl von Tagen pro Woche. Es geht nicht um ein “Erlauben”, dafür sind die individuellen Voraussetzungen viel zu verschieden. Auch die Tätigkeiten haben jeweils ganz unterschiedliche Erfordernisse. Wenn Sie aber Ihre Teams situativ entscheiden lassen, können Sie die Vorteile des dezentralen Arbeitens nutzen.

…schlecht für den Teamzusammenhalt

Dieser Einwand ist eng mit dem Thema “Fairness” verbunden, auf das ich eben schon eingegangen bin.

Hier steckt die Sorge dahinter, dass MitarbeiterInnen sich alleingelassen fühlen oder sich vom Unternehmen entfremden, und dann einfach zum nächsten “Gig” wechseln.  

Die Vorgabe “mindestens 4 Tage im Büro sein” sichert dann vermeintlich den Informationsaustausch und stärkt den Teamzusammenhalt.

Und wie geht das dezentral? Tipp!

  • Nutzen Sie Videokonferenz-Werkzeuge nicht nur für Besprechungen! Die Internetverbindung besteht sowieso, warum also nicht…
    • Ein virtuelles “Fenster” zu anderen Standorten. Ein alter Laptop in der Küche, und schon kann man regelmäßig dem anderen Standort einfach mal winken oder “Hallo” sagen.
    • Einen “Virtuellen Mittagstisch” – stimmen Sie einfach ab, wer wann Pause macht, und nutzen Sie dann Zoom oder Teams, um einfach zu fragen wie es so geht!
  • Nutzen Sie Teams/Zoom nicht nur, wenn es konkrete Fragen gibt. Sie können damit vor allem neuen Teammitgliedern virtuell über die Schulter schauen, um so zeitnah und kontextbezogen unterstützen zu können. Das hat nichts mit Überwachung zu tun, vier Augen sehen einfach mehr als zwei.
  • Stellen Sie sicher, dass nicht nur aktuelle Projekte besprochen werden. Nutzen Sie etwa Communities of Practice oder verwandte Ansätze, um eine thematische Klammer zu schaffen. So schaffen Sie den Beteiligten die Möglichkeit, sich als Teil von etwas Größerem zu fühlen.

Sie sehen also, in diesem Bereich sind wirklich neue Wege gefragt. Die gute Nachricht? Sie sind damit nicht allein, stehen Sie auf den Schultern von Riesen. Wissensaustausch und Gruppenkohäsion lassen sich auch mit dezentralen Teams gut erreichen!

Übersicht der Vor- und Nachteile

Was läuft gut?Was läuft schlecht?
Erfahrene KollegInnenHaben bereits ein “Netzwerk” in der Firma geschaffen
Wissen wen sie für welches Thema kontaktieren können
Haben Domänen- und Fachwissen, um die Aufgabe zu erledigen
Haben Selbstbewusstsein/Mut, um Unterstützung einzufordern
Risiko der Entfremdung+Abwanderung
Fehlender Rückkanal, wie geht es ihm oder ihr? Passen die Arbeitsbedingungen im Homeoffice? Arbeitest Du gern bei uns?
Jüngere TeammitgliederFachwissen ist vorhandenNetzwerk fehlt evtl noch
Gerade in frühen Karrierephasen keine Chance zu “glänzen”
OnboardingNeue Talente können standortunabhängig gesucht werden.Networking schwierigWoher kommt das “Gut Dich an Bord zu haben!”?
Im Worst Case führt das zu der Frage “Habe ich mich für das optimale Unternehmen entschieden?”
Alle Karrierestufen:
Kreative Ideen- und Lösungsfindung
Software verbindet das Erarbeiten direkt mit der Dokumentation.
Reisekosten entfallen
“Denken mit der Hand” entfällt, keinerlei Haptik. Mimik/Gestik entfällt
Vor- und Nachteile dezentralen Arbeitens nach Karrierestufe

Was also ist “Remote Leadership”?

Von Ressourcen-Verwaltung zum Mentoring und Coaching 

Oben habe ich versucht zu zeigen, dass es vor allem um die Stärkung der Eigenverantwortung geht. 

Unsere Aufgabe als Führungskräfte ist es, dass sich MitarbeiterInnen als Teil von etwas Größerem fühlen. 

Daher muss ich spezifizieren Was getan werden muss, jedoch nicht das Wie vorgeben. Vor allem muss ich ergänzen, Warum das jeweils sinnvoll ist (Intent-Based). Dabei geht es um Vertrauen, Empowerment und Mitarbeiter-Autonomie, niemals jedoch um Anarchie

Wenn Ihre Mitarbeiter im Wortsinne eigen-verantwortlich arbeiten, dann heißt das im Umkehrschluss auch, dass eine große Last von Ihren Schultern als Führungskraft genommen wird. Führen heißt ja nicht “den Wagen ziehen”. Was Sie mit der gewonnenen Kraft anfangen können? Zum Beispiel…

  • Fairerweise bei neuen Aufgabenstellungen immer auch die Rahmenbedingungen ergänzen – welche Faktoren muss die Lösung berücksichtigen? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? 
  • Den Teams den Rücken frei halten. “Ich hatte nicht die nötigen Rahmenbedingungen” ist keine Ausrede, sondern ein Arbeitsauftrag an Sie als Führungskraft. Gesucht ist dabei kein Helikopter-Eltern-Ansatz, wo jedes Anzeichen von kaltem Gegenwind auf magische Weise für das Team beseitigt werden soll. Gesucht sind vielmehr Hilfestellungen und Führen durch Fragen. Auch die Weiterentwicklung ist hier eine wichtige Aufgabe, etwa durch betriebliche Schulungsmaßnahmen für die Teammitglieder.
  • Dran bleiben! – Wenn Sie das “Warum?” und das “Was?” vermitteln konnten und dem Team die benötigten Ressourcen zur Verfügung stehen, dann wird es voller Elan starten. Nun ist es wichtig, dass auch Sie dran bleiben und Interesse an den inkrementellen Arbeitsergebnissen zeigen. Wie wichtig dabei die Fehlerkultur ist, das hebe ich für einen anderen Artikel auf…

Auf diesem Weg ändert sich Ihre Rolle von einem Ressourcen-Verwalter zu einem Moderator und Coach.

Die “Vorher-Zeit” kommt nie wieder zurück

Haben Sie Vertrauen in Ihre MitarbeiterInnen – und alles wird gut.


Zum Weiterlesen:

[1] Taylor, F.W. (1911): The Principles of Scientific Management. Harper & Brothers, New York.

[2] Wenn nicht, dann sollten wir sprechen 🙂